Sicherheitstechnik im Richard-Strauss-Tunnel "Münchner Standard"

Fachartikel aus PROTECTOR 11/09, S. 16 bis 17
Rubriken: Branchenlösungen: Transport und Verkehr, Sicherheitstechnik: Brandschutz, Sicherheitstechnik: Flucht- und Rettungswege, Sicherheitstechnik: Gebäude-Management, Sicherheitstechnik: Gefahrenmeldetechnik, Sicherheitstechnik: Videoüberwachung, Wirtschaftsschutz: Sicherheitskonzepte

Straßentunnel gehören wie selbstverständlich zu unserem auf Mobilität ausgerichteten Leben, besitzen mit ihrer räumlichen Enge andererseits ein größeres Gefahrenpotential. Standards, nach denen Systeme der Branderkennung und des Brandschutzes mit Verkehrsleittechnik, mit Videotechnik sowie mit Licht- und Lüftungssystemen vernetzt werden, sorgen heute für ein Höchstmaß an Sicherheit, wie das Beispiel des Münchner Richard-Strauss-Tunnels belegt.

Eine konsequente Umsetzung der bundesweit gültigen RABT 2006 und des über diese Gesetzesvorschriften hinausgehenden „Münchner Standards“ machen den Richard-Strauss-Tunnel zu einem der derzeit sichersten Münchner Stadttunnel.

Tunnel

Tunnel

Am 18. Juli 2009 wurde der Richard-Strauss-Tunnel, den täglich etwa 96.000 Fahrzeuge durchfahren, freigegeben. Der Tunnel verläuft in zwei Etagen, denn der zur A94 führende Seitentunnel unterquert den Haupttunnel. Das knapp zwei Kilometer lange Bauwerk verbindet nun den Effner-, Leuchtenberg- und Innsbrucker-Ring-Tunnel zur „Tunnelkette Mittlerer Ring Ost“.

Eine konsequente Umsetzung der bundesweit gültigen „Richtlinien für die Ausstattung und den Betrieb von Straßentunneln“ (RABT 2006) und des über diese Gesetzesvorschriften hinausgehenden „Münchner Standards“ machen ihn mit fehlersicheren Steuerungen zu einem der derzeit sichersten Münchner Stadttunnel.

Entstehungsbrandbekämpfung

Der Schutz der Verkehrsteilnehmer im Unglücksfall und die Schaffung aller Voraussetzungen für eine Selbstrettung besitzen nicht erst seit dem Inkrafttreten der RABT 2006 oberste Priorität. Einsatzkräfte müssen umgehend alarmiert werden können. Hierfür stehen an den Tunnelaußenwänden im Abstand von 120 Metern sowie in den Rampenbereichen begehbare Notrufstationen mit Notrufsäule und Handfeuermelder (Druckknopfmelder).

Alle 60 Meter finden sich Feuerlöschnischen mit Handfeuerlöschern und einem Löschschlauch. So können Brände von den Autofahrern selbst bereits im unmittelbaren Entstehen wirkungsvoll bekämpft werden.

Rasche Flucht

Die schnelle und sichere Flucht aus der Gefahrenzone ist ebenfalls gewährleistet: Grüne Umrandungen und umlaufend grüne Beleuchtung kennzeichnen Fluchttüren. Im Abstand von 60 Metern (die RABT 2006 schreibt maximal 300 Meter vor) in die Stahlbeton-Mittelwand eingelassen, ergeben sich so maximal 30 Meter zurückzulegender Weg zum nächsten Durchgang in die „gesunde“ Tunnelröhre.

Rettungskräfte haben so ebenfalls nur kurze Angriffswege bis zum Ereignisort. Dieser wird beidseitig durch Blitzleuchten signalisiert. Beleuchtete Fluchtwegkennzeichen, angebracht in einem Meter Höhe, weisen den kürzesten Weg zur nächsten Mittelwandtür oder zu einem Notausgang.

Vorbeugende Sicherheit

Bereits bei der Einfahrt in den Tunnel wird deutlich, dass Sicherheit hier allgegenwärtig sein muss. Dies beginnt nicht erst bei Rettungseinrichtungen, sondern bereits beim vorbeugenden Unfallschutz durch die Schaffung optimaler Fahrbedingungen möglichst ohne Ablenkungen.

Das LCD-Portalschild weist deutlich lesbar stets auf die aktuelle Verkehrssituation wie beispielsweise auf Baustellen, Stau, Smog und weitere hin. Ein durchgehendes Decken-Lichtband, ebenfalls umgesetzter „Münchner Standard“, sorgt für blend- und flimmerfreies Licht ohne störende Reflexe, verdeutlicht damit die Straßenführung und trägt so erheblich zur Tunnelsicherheit bei. Eine automatische Dauer-Geschwindigkeitskontrolle mit sechs Messstellen „motiviert“ zum Einhalten des Tempolimits von maximal 60 Stundenkilometern.

Halb- und automatische Sicherheitssysteme

Die Branderkennung nach verschiedenen physikalischen Prinzipien verdeutlicht ebenso, dass der Schutz von Menschenleben auch einen höheren Aufwand rechtfertigt.

Tunnel 2

Tunnel 2

Neben der Branderkennung mittels Sensorkabel, das die mit jeweils acht Metern Abstand installierten Sensoren ringförmig mit den Brandmeldezentralen verbindet, werden Brände zusätzlich per Videotechnik in Kombination mit RAS-Sensoren detektiert. Die Rauchansaugsysteme (RAS), die nach jeweils 120 Metern angebracht wurden, sollen die Anzahl der Fehlalarme bei dieser sehr schnellen Detektion reduzieren.

Erst nach der Branderkennung durch Video und RAS wird der Alarm beim Operator in der Verkehrsleitzentrale ausgelöst. Er kann innerhalb der nächsten 30 Sekunden den Alarm verifizieren, ihn stoppen oder die Feuerwehr über die Brandmeldeanlage (BMA) alarmieren.

Über eine LWL-Ringbusleitung, deren ständige Funktion und Verfügbarkeit durch eine redundante Zweitleitung abgesichert ist, erfolgt der gesamte Informations- und Datenfluss von Brandmeldern, Videokameras und Türkontakten in die Verkehrsleitzentrale, Betriebszentrale und Alarmzentrale.

Sie übernimmt auch die Verteilung der Schalt- und Steuerbefehle an alle Aktoren, wie zum Beispiel die Längs-Strahllüfter an der Tunneldecke, die voll digitale Beschallungs- und Evakuierungsanlage (ELA), die Videokameras, die Lichtsignalanlagen, Wechselschilder und Wechselwegweiser. Das können automatische ebenso wie von den Operatoren veranlasste Befehle sein.

Übergeordnetes Konzept

Die für die Tunnelsicherheit relevanten Systeme sind redundant und zum Teil „fail safe“ aufgebaut. Alle Systeme gehören als Bestandteile des steuerungs-, licht-, verkehrs- oder des brand- und lüftungstechnischen Konzeptes zum zusammengefassten Tunnelsicherheits- und -betriebskonzept.

Tunnelfahrt

Tunnelfahrt

Am 18. Juli 2009 wurde der Richard-Strauss-Tunnel, den täglich etwa 96.000 Fahrzeuge durchfahren, freigegeben.

Abhängigkeiten und Vernetzungen der Einzelkomponenten kann die folgende Aufzählung einiger ausgewählter Routinen illustrieren, die sofort nach dem Auslösen der BMA automatisch von der Simatic-SPS, die auch die Visualisierung übernehmen kann, gesteuert ablaufen. Die Branddetektion erfolgt bis auf sechs Meter genau. Sofort wird die betroffene Röhre durch die Schranke (seit RABT 2006 zwingend vorgeschrieben) und durch Rot-Signale gesperrt.

Die Portalanzeige, bedient vom Operator in der Verkehrsleitzentrale, weist auf die Sperrung hin und kann sonstige zusätzliche Informationen geben. Die LED der Wechselverkehrszeichen erzeugen das entsprechende Schildsymbol. Die Tunnelbeleuchtung schaltet auf maximale Helligkeit. Auf den Zufahrten und im Vorfeld des Tunnels erfolgenUmleitungs- und Ausfahrtempfehlungen.

Über ELA und Autoradio können per Sprache Hinweise und Anweisungen übermittelt werden. Im direkten Brandabschnitt schaltet die Lüftung ab, um Rauchverwirbelungen zu vermeiden. Die weiteren Lüfter transportieren den Rauch in Fahrtrichtung aus der Röhre. In der „gesunden“ Gegenröhre erzeugen die Lüfter einen Überdruck, der den Rauch beim Öffnen der Fluchttüren in die Brandröhre zurückdrückt.

In der „gesunden“ Röhre wird durch Verkehrsbeeinflussung ein freier Angriffsweg für die Feuerwehr geschaffen. Die Kameras der Videoüberwachung liefern ihre Bilder in die Verkehrsleitzentrale sowie die Betriebszentrale der Abteilung Straßenbeleuchtung und Verkehrsleittechnik und unterstützen das Ergreifen und die Koordination geeigneter Maßnahmen.

Zusätzlich können Daten durch Zugangsberechtigte an jedem beliebigen Netzwerkknoten abgerufen werden. Für mehr Effizienz der Zentralen ist ihre Zusammenlegung und Modernisierung zur gemeinsamen Betriebs- und Verkehrszentrale ab 2012 geplant.
Digitales Videodatenmanagement

Die Videoaufnahmen sämtlicher Kameras im Netzwerk werden über TCP/IP zentral von einem neuartigen Videomanagementsystem verwaltet. Dieses basiert auf einer Leittechniksoftware auf einer Linux-Plattform (redundanter Server zur Vermeidung von Datenverlust). Die Video-Speichereinheiten können dabei an beliebiger Stelle im Netzwerk untergebracht und vom Video Recording Manager (VRM) verwaltet werden.

Ein Aufzeichnungszyklus der Daten und Metadaten, die eine spätere schnelle Suche ermöglichen, dauert 48 Stunden. Definierte Ereignisse können mit jeweils fünf Minuten Vor- und Nachlaufzeit löschgeschützt aufbewahrt werden.

Ereignisse, wie Unfälle (Speicherung laut RABT 2006 vorgeschrieben), Falschfahrer, Stau, Fahrzeuge in den alle 350 Meter vorhandenen Pannenbuchten, können innerhalb von zwei Wochen in die Videodetektion eingelernt werden.
Kompromisslos

Münchner Stadttunnel erfuhren bisher stets gute und sehr gute Bewertungen. Da wie bei früheren Tunnelprojekten auch im Richard-Strauss-Tunnel geltendes Recht und der „Münchner Standard“ kompromisslos umgesetzt worden sind, können die Tunnelverantwortlichen weiteren Tests mit Zuversicht entgegensehen.

Bleibt zu wünschen, dass Rücksicht, Vernunft und Technik den Durchfahrenden, dem Tunnelpersonal und den Anwohnern in ihrem zukünftigen Park-Idyll eine echte „Feuertaufe“ ersparen.

Karsten Seifert